Der Kommentar Hanna Thieles, auf den ich mich beziehe, findet sich unter dem Beitrag „Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker und die Etablierung der These von der Klimaschädlichkeit des CO2 im politischen Diskurs“. Die Abbildung unter dem vorliegenden Beitrag wurde mit inhaltlichem Bezug auf Hanna Thieles Kommentar ausgewählt, in welchem sie auf die Aktualität der im letzten Viertel des Jahrhunderts entwickelten Rechtfertigungsargumentation der Atomkraft als CO2-freier Technologie hinweist.
Um den Kommentar von Hanna Thiele zu meinem Beitrag „Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker und die Etablierung der These von der Klimaschädlichkeit des CO2 im politischen Diskurs“, zu verstehen muss eine Diskussion kennen, die seit mehreren Jahren läuft. Hanna Thiele wirft dem 2007 verstorbenen bedeutenden Naturwissenschaftler Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker eine persönliche Schuld daran vor, dass die wissenschaftliche Hypothese, dass der steigende Kohlendioxydgehalt in der Luft zur Erderwärmung führe, im politischen Diskurs zu einem „Schreckgespenst“, wie es Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker in seiner Rede von 1979 nennt, ausgestaltet wurde. Dass die Menschheit mit einem solchen Schreckgespenst verängstigt, in Schach gehalten und zur Kasse gebeten wird, scheint mir evident. Doch auch ich bezweifle, dass die Schuld daran dem genannten Atomphysiker zuzuschreiben ist.
In dem Vortrag „Wo bleibt der Klimawandel?“, den Prof. Dr. Werner Kirstein am 18. Juni 2010 an der Leipziger Universität hielt, weist er auf die „Warnung vor einer drohenden Klimakatastrophe“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und auf die besondere Rolle von Prof. Dr. Klaus Heinloth hin (zitiert und verlinkt in meinem Beitrag) und behauptet, dass diese Panikmache, die sich gegen den Verbrauch fossiler Brennstoffe richtete, im Interesse der Atomindustrie erfolgt sei. In dem Beitrag „Die Klimakatastrophe von 1986 und was daraus wurde Ein kritischer Rückblick zum Klimawandel“ von Wolfgang Müller aus dem Jahre 2013 heißt es: „Vor fast 28 Jahren (im Januar 1986) gab die Deutsche Physikalische Gesellschaft in einer Pressekonferenz in Bonn eine alarmierende ‚Warnung vor einer drohenden Klimakatastrophe‘ heraus. Verantwortlich dafür machte die DPG den offensichtlich steigenden Anteil an Kohlendioxid und anderen Spurengasen in der Atmosphäre. Tatsächlich zeigten zwei Kurven, die des CO2 und die der Lufttemperatur, einen parallelen Anstieg seit Beginn der CO2-Messungen 1958 auf dem Mauna Loa (Hawaii). Eine statistisch signifikante Korrelation wurde unter fahrlässiger Missachtung statistischer Grundregeln für einen Kausalzusammenhang gehalten. Korrelation und Kausalität betrachtet der Statistiker allerdings immer mit äußerster Vorsicht, was aber hier ignoriert wurde. Die DPG verfolgte mit dieser Kampagne noch ein anderes Ziel: Die in dieser Zeit heftig umstrittene Kernenergie, deren fehlende Akzeptanz sich in öffentlichen Krawallen und heftigen Protestdemonstrationen in den 1980er Jahren zeigte, sollte ein positiveres Image bekommen, sind die Kernkraftwerke doch offenkundig CO2-frei.“ Im gemeinsamen Panik-Aufruf von DPG und DPM von 1987 (hier verlinkt) verweisen beide Organisationen auf neueste Forschungserkenntnisse. Ich sehe diese neuen Erkenntnisse nicht – hier wäre wohl Prof. Dr. Gerhard Kramm als Koryphäe zu fragen –, denn die Zunahme des Kohlendioxydgehalts in der Atmosphäre bewegt sich mit den Angaben, die Matthias Engelsberger 1988 im Bundestag dazu liefert, nur wenig oberhalb der Progonosen, die die DPG 1971 gemacht hatte, ohne daraus eine Gefahr für die Menschheit abzuleiten! (beide Dokumente verlinkt).
Christian Sorge schreibt 2018 in „Die offene Zukunft der Kernenergie. Bedingungen und Prognosen von Carl Friedrich von Weizsäcker zur friedlichen Nutzung der Kernenergie“: „In den 1970er Jahren änderten sich diese Prognosen teilweise und es kamen neue Gedankenansätze hinzu, insbesondere das Energiesparen und eine kritische Betrachtung aller auf begrenzten Rohstoffen beruhender Energieformen. In diesem Zeitraum betonte Carl Friedrich von Weizsäcker die Wichtigkeit einer langfristigen Energiepolitik und distanzierte sich damit von einer Versorgung, die noch immer stark auf fossile Brennstoffe ausgerichtet war.“ (Vgl. C.F.v.Weizsäcker: Wege in der Gefahr, München, Wien, 1976, S.21.) „In der Abfolge von Energietechniken sah Carl Friedrich von Weizsäcker zunächst die fossilen Energieträger, allen voran die Kohle, als relevant an. Aufgrund ihrer beschränkten Verfügbarkeit und Umweltproblematik sollten sie jedoch von der Kernspaltung abgelöst werden, bevor ein Wandel zu beinahe unerschöpflichen Quellen, in Form von Sonneneinstrahlung, Kernfusion und Geothermik, erfolgen würde.“ (Vgl. ebd., S.33-36.) „Die Umwelt würde durch die geringeren Schadstoffemissionen [der Atomkraftwerke], im Vergleich zu fossilen Brennstoffen, geschont werden und lediglich eine höhere Abwärme freisetzen.“ (Vgl. ebd., S.24.) In Hinblick auf die Fragestellung, wann Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker das Argument ‚Klimaveränderungen durch den Treibhauseffekt‘ in seine Argumentation gegen den verstärkten Einsatz fossiler und für den Einsatz der Atomenergie eingefügt hat, könnten eine aufmerksame Lektüre von „Wege in der Gefahr“ in der Erstausgabe von 1976 sowie in der Taschenbuchausgabe von 1979 und die Lektüre seiner Werke und Briefe in den späten 70er Jahren vor dem Hintergrund der sich in jener Zeit verstärkenden Proteste gegen den Einsatz der Kernenergie, über die Jan Henrik Meyer in einer „Kleinen Geschichte der Atomkraft-Kontroverse in Deutschland“ informiert, Aufschlüsse bieten. Offenbar hat er die Argumente zu Verteidigung der Atomenergie im Laufe der Zeit in derselben Weise ausgetauscht, in welcher während des Vierteljahrhunderts im öffentlichen Diskurs die Argumente für den Einsatz der Windenergie ausgetauscht wurden: An die Seite der Argumentation mit der Begrenztheit und den höheren Schadstoffemissionen fossiler Brennstoffe trat die Argumentation mit dem „Schreckgespenst“ ‚Klimaveränderungen durch den Treibhauseffekt‘.
Auch Prof. Dr. Freiherr Ernst Ulrich von Weizsäcker führt die Attacken der DPG gegen fossile Energien auf ein Bestreben zurück, der seit den 70er Jahren in die Schusslinie geratenen Kernenergie Schützenhilfe zu leisten. Ich erinnere daran, dass jeweils ca. 100.000 Menschen im Frühjahr und im Herbst 1979 gegen das Lager Gorleben demonstierten. Das war das Jahr, in dem Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker, Energieberater der Bundesregierung, seine Rede hielt, in der er unter Verweis auf vermutete Gefahren sagt, „man möge doch bitte, wenn es irgend geht auf den weiteren rein energieliefernden Konsum fossiler Brennstoffe verzichten“. In der schmalen und unvollständigen Dokumentation, die ich unter Rückgriff auf Hanna Thieles Vorarbeiten vorgelegt habe, ist das tatsächlich die erste Aussage, in der der „sogenannte Treibhauseffekt“ (C.F. von Weizsäcker) gegen den Einsatz fossiler Energien und im Interesse der Atomenergie ausgespielt wird. Getan hat er das mit aller Reserve und unter Erwähnung dessen, dass es sich um Vermutungen handelt und dass der Erkenntnisstand der Wissenschaft und seine eigene Kompetenz ungenügend sind. Zudem ist diese Dokumentation extrem lückenhaft. Schon 1956 hatte Roger Revelle in Bezug auf den CO2-Anstieg den „violent effect on the earth’s climate“ ins Spiel gebracht und ob da nur die Sorge um die Umwelt oder auch andere Interessen im Hintergrund wirkten, vermag ich nicht zu sagen.

Quelle: (https://www.ouest-france.fr/politique/emmanuel-macron/passe-sanitaire-retraites-nucleaire-ce-qu-il-faut-retenir-de-l-allocution-d-emmanuel-macron-9371e822-416b-11ec-adb3-903d234724d0, Screenshot)
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