Drei Daten zur Geschichte der Energiewende

Bericht über Geschehnisse, die sich 1994, 1996 und 2011 ereignet haben,

erstattet von Norbert Große Hündfeld,

Rechtsanwalt und Notar a. D. in Münster,

mit Anleitung zur gesetzlichen/ verfassungsrechtlichen Beurteilung für das Institut für verfassungsgemäße Stromwirtschaft (IvS)

A Sachverhalt

1. Das Urteil vom 16.06.1994

Am 16. Juni 1994 hat das Bundesverwaltungsgericht über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Anlagenbaus der Windindustrie entschieden: Windenergieanlagen (WEA) sind keine im Sinne von Paragraf 35 Absatz 1 BauGB privilegierten Vorhaben! Als „sonstige“ Vorhaben im Sinne von Paragraf 35 Absatz 2 BauGB ist ihre Errichtung im Außenbereich unzulässig!

2. Das Änderungsgesetz zum Baugesetzbuch – Die BauGB-Novelle vom 30.07.1996

Am 30. Juli 1996 hat der Deutsche Bundestag 2 Jahre später auf das Urteil reagiert: mit einer Änderung des Zulassungsrechts! Er hat Paragraf 35 Absatz 1 Nr. 5 BauGB normiert: Die Vorschrift bestimmt: Windenergieanlagen sind privilegiert, wenn sie „der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen“. Die Vorschrift ist zum 01.01.1997 in Kraft getreten.

3. Das Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SUR) „Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung“

Am 18.02.2011 hat die Bundesregierung mit DRS 17/4890 den Deutschen Bundestag über den Inhalt des Sondergutachtens unterrichtet, das der Sachverständigenrat für Umweltfragen (ca. 7 Wochen vor der Katastrophe von Fukushima) erstellt hat. Die Drucksache enthält auf den Seiten 33ff. (unter 2.2.1) Darlegungen zur Bedeutung und Bindungswirkung der Staatszielbestimmung des Artikels 20a des Grundgesetzes, deren Inhalt dem einzigen juristischen Mitglied des SUR zugeordnet werden kann: Prof. Dr. jur. Christian Callies, FU Berlin.

B Zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts

Die rechtliche Standardfrage, die ich seit langer Zeit immer wieder Politikern der Energiewende gestellt habe, lautet: „Darf der Gesetzgeber, dem der Verfassungsgeber mit Artikel 20a GG den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere zur Pflicht gemacht hat, Schadwirkungen erzeugen, wie sie durch den Anlagenbau der Windindustrie tagtäglich verursacht werden? Ist der Anlagenbau mit dem Umweltschutzgebot in Artikel 20a GG vereinbar?“

Meine Frage ist mit einer Ausnahme nie beantwortet worden. Die einzige Antwort kam aus der Staatsrechtswissenschaft. Der Freiburger Verfassungsrechtler Prof. Dr. Dietrich Murswiek hat in einem Vortrag, den er am 22. Oktober 2019 in München gehalten hat, eine fundierte Antwort gegeben. (Murswiek „Klimaschutz und Grundgesetz/Wozu verpflichtet das Staatsziel Umweltschutz?“, www.dietrich-murswiek.de) Den wesentlichen Inhalt hat Murswiek in der soeben erschienen 9. Auflage von Sachs GG Kommentar unter Rn 55a zu Artikel 20a mit Ausführungen zum Umweltnutzungskonflikt zusammengefasst; dort heißt es:

„Wenn zu Umweltschutzzwecken eine Technologie eingesetzt wird, die ihrerseits die Umwelt schädigt, ist das mit Artikel 20a GG nur vereinbar, sofern der Nutzen, den die als Mittel des Umweltschutzes eingesetzte Technologie für die Umwelt hat, größer ist als der Schaden, den sie der Umwelt zufügt. Beispielsweise ließe sich der massive Ausbau der Windenergie im Hinblick auf die durch Windkraftanlagen verursachten Schäden, Tötung von Vögeln, Verunstaltung von Landschaften, Gesundheitslehren durch Infraschall usw.) nur rechtfertigen, wenn sich zeigen ließe, dass der behauptete ökologische Nutzen (Abwendung von Umweltschäden infolge der durch anthropogene CO2-Emissionen verursachten Erderwärmung größer als diese Schäden ist.

Bei dieser Kosten-Nutzenanalyse kommt es nicht auf eine abstrakte Gegenüberstellung von „Zielen“ (Artenschutz“) oder („Landschaftsschutz“) an, sondern auf eine konkrete Abwägung: Wie viele Vögel welcher Arten werden getötet? In welchen Umfang wird die Landschaft beeinträchtigt? Welche erderwärmungsbedingten Umweltschäden werden durch diejenigen C02-Emissionen vermieden, die durch die betreffenden Windkraftanlagen erzielt werden? Eine solche konkrete Abwägung zu unterlassen, ist mit Artikel 20a GG unvereinbar.“

Die Frage, ob in Deutschland Baugenehmigungen für den Anlagenbau der Windindustrie erteilt werden dürfen, hängt demnach von der Bedingung ab, dass der Gesetzgeber vor dem 30.07.1996 Schaden und Nutzen abgewogen hat. Die BauGB-Novelle hat nur dann die Rechtswirkung des Urteils vom 16.06. beseitigen können, wenn tatsächlich abgewogen worden ist!

Es gibt eine untrügliche Tatsache, die zeigt, dass keine Abwägung stattgefunden hat. Um eine Abwägungsentscheidung treffen zu können, hätte eine sachgerechte Technikfolgenabschätzung erfolgen müssen. Es gibt jedoch kein parlamentarisches Dokument, das eine Folgenbetrachtung enthält! Kein Mitglied des Bundestages ist informiert worden, welches Schadensausmaß in eine Abwägung eingestellt werden muss! Niemand hat ein ausreichendes Wissen, ob der Anlagenbau als Umweltschutzmaßnahme überhaupt geeignet ist, die Erderwärmung zu beeinflussen.

Dieses Versäumnis ist offenkundig! Murswiek konstatiert wörtlich: „Eine solche konkrete Abwägung zu unterlassen, ist mit Artikel 20a GG unvereinbar!“

C Das Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen – ein Plädoyer für die ausschließliche Energieerzeugung aus erneuerbarer Energie

Das Sondergutachten enthält eine Positionierung des gesetzlich legitimierten Gremiums, die im Widerspruch steht zur Begründung des Gesetzgebers für die Novelle zum Atomgesetz vom 08.12.2010 (Laufzeitverlängerung). (Elftes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes I BGl, 2. 1842)

Es steht zu vermuten, dass der SUR auch gezielt gegen die Zielsetzung des Gesetzgebers – gegen die Verlängerung der Laufzeiten für AKW also – Stellung nehmen und den Widerstand gegen die Novelle zum AtG unterstützen wollte. (In der Kurzfassung für Entscheidungsträger heißt es: „100% Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien ist möglich, sicher und bezahlbar, Signifikante Laufzeitverlängerungen oder neue Kohlekraftwerke sind für den Übergang nicht nötig!“)

Das Institut für verfassungsgemäße Stromwirtschaft macht auf die Verantwortung aufmerksam, die allen Gutachtenverfassern als Adressaten des Schutzgebotes in Artikel 20a GG obliegt. Sie ergibt sich aus der Berufung zum Mitglied der gesetzlich normierten Beratungsaufgabe für die Exekutive. Alle Mitglieder müssen sich der Frage stellen: wozu verpflichtet Artikel 20a GG die zur Regierungsberatung berufenen SUR-Mitglieder? In der Schriftenreihe des Instituts „Mitteilungen zur neuen Stromwirtschaft“ soll erörtert werden, ob die Darlegungen des Sondergutachtens mit dieser Verantwortungspflicht vereinbar sind. Zu dieser Frage werden die Gutachter um ihre Stellungnahme ersucht.

Münster, im April 2021

Norbert Große Hündfeld

„Darf der Gesetzgeber, dem der Verfassungsgeber mit Artikel 20a GG den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere zur Pflicht gemacht hat, Schadwirkungen erzeugen, wie sie durch den Anlagenbau der Windindustrie tagtäglich verursacht werden?“ (Murwiek) – Foto: © Robert Niebach

Sollten Sie auf dieser Seite Werbung sehen, so bitte ich Sie ausdrücklich, diese Produkte auf keinen Fall zu kaufen, sondern das Geld einem gemeinnützigen Verein zu spenden.

Naturschutzinitiative e.V.

Deutsche Schutz-Gemeinschaft für Mensch und Tier e.V. (DSGS e.V.)

Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern e.V.

Deutsche Wildtier Stiftung

Standard

Hinterlasse einen Kommentar